Advent

Noch ist Adventszeit. Advent  hat dem Wortursprung etwas mit Ankunft und sich annähern zu tun. Aber manchmal ist das schwer. Tatsächlich habe ich dieses Jahr noch mehr als sonst damit gehadert, dass es schon wieder kalt, nass und dunkel wird und auf Weihnachten zugeht. Ich fühlte mich nicht vorbereitet und bedachte die Spekulatius, die seit Ende August im Supermarkt-Regal stehen, weiterhin mit gehässigen Blicken.

Kurz vor dem ersten Advent musste ich zu meiner Hausärztin, nüchtern, zum Blut abgeben. Anschließend wollte ich ins externe Büro und beschloss, mir auf dem Weg einen Cappuccino und ein Stückchen zu gönnen – gedacht, getan. Ich betrat den eigentlich zu hellen Verkaufsraum der Filiale einer hessischen Bäckereikette. Neonleuchten an der Decke, zwölf großzügig aufgestellte Resopaltische, ein ungewollt minimalistischer grüner Weihnachtsplastikkegel auf der Theke, ein überschaubares Angebot in der Auslage. Der nostalgisch aussehende Nussplunder gefiel mir am besten und landete auf meinem Teller, der Kaffee duftete, meine Lebensgeister erwachten. Und irgendwie spürte ich plötzlich, dass die Atmosphäre gerade richtig gut war in diesem Raum.

Der Mann, der an der Theke mit mir stand und schon einen Plausch mit der Frau dahinter gehalten hatte, zählte gerade durch, wer „deutsch“ war und wer „Ausländer“. Er selbst war „Ausländer“ und die Frau hinter der Theke auch, ebenso wurde ein Jugendlicher, der gerade hereinkam und eine Cola kaufte, eingeschätzt. An Tischen nahe der Wand saßen zwei, die sich als „Deutsche“ outeten, ein alter Mann mit einer sehr von Feuchtigkeit gewellten Lokalblatt in Händen und eine Frau mit Rollator, die gleich erzählte, sie sei in Worms geboren. Mich eingerechnet lag ein friedliches Patt vor.

Die Leute kannten sich lose, waren in einem kargen, aber einvernehmlichen Gespräch, auch über Löhne und Renten. Eine Frau mit Buggy kam rein, nahm ein Croissant und einen Kaffee, das Kind wurde gefragt, ob es einen roten oder einen gelben Muffin wollte. Es ging nur um die Banderole, aber die Entscheidung war langwierig, der Kleine entschied sich mit aller Zeit der Welt für Rot. Alle anderen im Raum hatten das mitverfolgt und hießen es gut, nickten, ich auch.

Als die Frau mit Rollator ihren Kaffee ausgetrunken hatte und sich langsam und ächzend erhob, sagte die Verkäuferin: „Tschüss, Martha!“ (Name geändert). Martha klagte ein wenig über Hüftschmerzen, sagte dann freundlich „Bis morgen!“. Dann aber hielt sie inne, überlegte kurz, denn ihr fiel ein, dass sie, wegen der Rentenzahlung, erst am 1. Dezember wiederkommen konnte. „Warte mal, Martha, „ich schau nach“, meinte die Verkäuferin. Aber nicht nur sie, sondern alle Anwesenden wollten sicher gehen, ob heute erst der 28. oder doch schon der 29. November war, ob also Martha schon übermorgen oder erst tags drauf wiederkommen konnte. Man bedauerte allgemein, dass erst der 28. war, „aber macht nix“, meinte die Hauptdarstellerin achselzuckend.

Ich hielt Martha des Rollators wegen die Tür auf, der Statistiker winkte und ging, und ich selbst war fünf Minuten später ebenfalls fort. Aber mit einem sehr frohen, wärmenden Gefühl in mir, obwohl ja nicht viel passiert war. Dieser Moment der Annäherung, des Ankommen war zufällig, beiläufig, und gerade deshalb unvermutet schön. Ein Adventsmoment, den ich mir merken muss.